Wie es mit den guten Vorsätzen auch wirklich klappt


Sie können alles erreichen, wenn Sie es nur wollen? Mit genug Willenskraft und Selbstdisziplin scheint Ihnen kein Ziel zu groß? Sie fassen stolz Vorsätze und sind sicher, diese auch umzusetzen? Schön und gut. Nur warum gelingt Ihnen das am Ende dann doch nur selten?

Keine Sorge, es liegt nicht an Ihnen persönlich. Sondern einfach daran, dass Sie ein Mensch sind. Und ein menschliches Gehirn haben. Und das funktioniert in vielen Bereichen nicht unbedingt so, wie wir das häufig glauben.

Denn vieles von dem, was wir tun, passiert völlig unterbewusst – ohne unsere Kontrolle. Deshalb machen wir oft nicht das, was wir eigentlich tun wollten. Sondern das Gegenteil.

Psychologinnen und Hirnforscher haben in den vergangenen Jahren untersucht, wie Verhaltensänderung wirklich gelingt – und welche wichtige Rolle unsere Gewohnheiten dabei spielen.

Hier sind die wichtigsten Erkenntnisse:

1. Wir entscheiden häufig überhaupt nicht rational

Viele Menschen glauben: Wenn ich eine bewusste Entscheidung getroffen habe, kann ich mein Handeln danach ausrichten und erreiche mein Ziel, wenn ich mich nur genug anstrenge. Nur scheitern sie damit oft.

«Es ist ein Missverständnis zu glauben, man könne sein Leben ausschließlich bewusst ändern», sagt der promovierte Neurowissenschaftler Henning Beck. «Nachhaltige Veränderung muss unterbewusst erfolgen.»

Denn sehr viel von dem, was wir jeden Tag tun, basiert keineswegs auf aktiven Entscheidungen – sondern auf automatischen Routinen, auf Gewohnheiten. Beck nennt sie «das Betriebssystem unseres Lebens».

«Es schmeichelt uns zu glauben, wir gäben die Befehle und hätten die ganze Zeit die Kontrolle», sagt Wendy Wood, Professorin für Psychologie an der USC University of Southern California.

Sich hinsetzen und einen aktiven Entschluss fassen: Das funktioniert der Expertin zufolge vor allem für einmalige Entscheidungen. Zum Beispiel: Wo will ich leben? In welchem Job möchte ich arbeiten? Über solche bewussten Entscheidungen können wir gut reflektieren.

Das Problem: «Wir sind uns nicht über unsere Gewohnheiten bewusst», erklärt Wood. Und die übernehmen im Alltag ganz oft die Kontrolle.

2. Was wir regelmäßig tun, passiert selten bewusst

Mit ihrer Studentin Judy Oulette wertete die Forscherin zum Beispiel 64 Studien mit mehr als 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus. Die Frage: Wann ändern Menschen ihr Verhalten?

Das Ergebnis: Nahmen sich Menschen etwas vor, das sie einmal tun wollten, taten sie das auch – etwa sich für einen Kurs anmelden oder gegen Grippe impfen lassen.

Anders bei Recycling und der Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel. Erforderte eine Handlung regelmäßige Wiederholung, passten die Menschen ihr Verhalten eher nicht ihrem Vorsatz an.

Wood führte mehrere Studien durch, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über viele Tage ihre Alltagshandlungen und ihre Gedanken währenddessen akribisch in Notizbüchern festhielten. Es kam heraus, dass die Probanden während einer Tätigkeit ganz oft an etwas ganz anderes dachten. Die Handlung – so die Schlussfolgerung – war reine Gewohnheit.

Fazit: Oft schalten wir unseren Kopf offenbar unbemerkt aus. Oder präziser: die Teile des Gehirns, die bewusst entscheiden.

3. Ohne Gewohnheiten wären wir ständig überfordert

«Wenn wir von Willenskraft Gebrauch machen, setzen wir aktiv unseren Kopf und unsere Energie ein», erklärt Wood. Im Fachjargon: unsere exekutiven Funktionen, die kognitive Kontrolle. Die Kontrolle über bewusste Entscheidungen haben – darüber definieren wir uns.

Problem: Das ist auf Dauer furchtbar anstrengend.

«Weil die kognitive Kontrolle viel Aufwand bedeutet, setzen wir sie sparsam ein», sagt Wood. Jeden Tag aufs Neue entscheiden, wie genau wir aufstehen, uns die Zähne putzen und zur Arbeit fahren – das würde uns überfordern.

Der Journalist und Autor Charles Duhigg formuliert es in seinem Buch «Die Macht der Gewohnheit» so: Gewohnheiten entstehen, weil unser Gehirn ständig nach Wegen sucht, um sich weniger anzustrengen.

Klingt clever? Das ist es oft auch. Weil wir ohne automatisierte Handlungen den Alltag nicht bewältigen könnten. Aber eben nicht immer, wie wir sehen werden.

Das «Gewohnheits-Ich» funktioniert nach dem Prinzip: Auf einen Reiz folgt eine Reaktion, über die wir nicht wirklich nachdenken. Es nützt ihm Wood zufolge am meisten, wenn das bewusste Ich – also wir mit unseren achso schlauen Gedanken – einfach den Weg freimacht.

Das klingt provokativ? Es wird noch besser.

4. Gewohnheiten funktionieren nach einem einfachen Prinzip

Jede Gewohnheit besteht aus drei Komponenten:

ein Auslösereiz in unserer Umgebung
eine automatisierte Routine, die dadurch ausgelöst wird
eine Belohnung, für die wir die Handlung ausführen

Die Routine kann dabei körperlicher, mentaler oder emotionaler Art sein. Diese Schleife automatisiert sich immer stärker, bis wir sie gar nicht mehr als solche wahrnehmen.

Diese Schleifen sind so mächtig, dass Unternehmen sie überall einsetzen, um mehr zu verkaufen. Sie erklären, warum Supermärkte nach einem bestimmten Prinzip aufgebaut sind und Fast-Food-Ketten immer gleich aussehen.

Angetrieben werden Gewohnheitsschleifen von Verlangen.

Wendy Wood definiert eine Gewohnheit als mentale Verbindung zwischen einem Auslöser und einer Reaktion, die entsteht, wenn eine Handlung im gleichen Kontext mit dem Ziel der Belohnung wiederholt wird.
Gut zu wissen: Die Belohnung kann weit in der Vergangenheit liegen. Sie rückt irgendwann in den Hintergrund, aber die Gewohnheit bleibt.

Belohnung ist also wichtig, wenn wir etwas zum ersten Mal tun. Aber irgendwann handelt man aus Gewohnheit: Man steht vor dem Kühlschrank und macht ihn eben auf.

«Wir schaffen uns schnell etwas drauf, wenn die Belohnung besonders positiv ist», sagt Hirnforscher Henning Beck. Die Nervenbahnen verstärkten sich. «Jede Gewohnheit startet mit einer Belohnung, aber um sie aufrecht zu erhalten, ist sie irgendwann nicht mehr so notwendig», erklärt der Experte.

5. Gewohnheiten zu ändern ist nicht leicht – aber möglich

Vielleicht warten Sie jetzt auf die Zauberformel, mit der Sie eine Gewohnheit auf jeden Fall entwickeln oder abstellen können. Doch so einfach ist es leider nicht.

«Die Schwierigkeit besteht darin, dass es eben nicht nur die eine Formel für Verhaltensänderung gibt», schreibt Duhigg. «Mit dem Rauchen aufzuhören ist etwas anderes, als gegen Übergewicht zu kämpfen.»

Es gibt also kein Pauschalrezept – aber viele hilfreiche Handreichungen aus der Erforschung von Gewohnheiten.

Eine kurze Erinnerung: Wir wissen, dass wir Gewohnheiten nutzen, um weniger entscheiden zu müssen. Wir wissen, dass Gewohnheiten nach einem bestimmten Schema funktionieren.

Nur: Welche Gewohnheiten haben wir überhaupt?

«Es klingt simpel, aber ich muss mir erst einmal über meine Gewohnheiten bewusst werden», sagt Henning Beck. «Das ist gar nicht so einfach.» Aber es ist der erste wichtige Schritt, um eine Veränderung herbeizuführen.

Auch Charles Duhigg weist auf diesen Punkt hin: Wir verstehen oft das Verlangen nicht, das unsere Gewohnheitsschleife antreibt. Auch das ist Teil der Arbeit, um eine bestimmte Gewohnheit endlich zu ändern.

Der Sachbuchautor empfiehlt folgende vier Schritte:

Die Routine identifizieren, also die Verhaltensweise in den Blick nehmen, die man ändern möchte. Beispiel: Ich esse ständig Kekse. Aber ich will das nicht mehr tun, weil ich sonst an Gewicht zunehme.
Mit Belohnungen experimentieren – konkret: Statt in der Cafeteria einen Keks zu essen, einfach andere Dinge tun. Welches Verlangen treibt meine Routine wirklich an? Hunger, der Wunsch nach Zerstreuung oder doch eher nach Gesellschaft?
Den Auslöser identifizieren. Das können verschiedene Dinge sein:
Standort: Wo sind sie?
Uhrzeit: Wie spät es ist?
Andere Menschen: Wer ist gerade noch da?
Emotionaler Zustand: Wie fühle ich mich?
Vorausgegangene Handlungen: Was habe ich gerade getan?
Einen Plan aufstellen, um die Gewohnheit loszuwerden.

Wendy Wood sieht in der Beherrschung der eigenen Gewohnheiten nicht weniger als einen aussichtsreichen Weg zu einem erfüllteren Leben.

Durch Gewohnheitshandeln verschaffe man dem bewussten Ich die Freiheit, auf die wahren Herausforderungen des Lebens zu reagieren, schreibt die Expertin – auf die wirklich wichtigen Entscheidungen. Das gelte für Feuerwehrleute wie für Football-Spieler: Je mehr sie automatisieren, umso besser werden sie.

Und das gilt im Prinzip für jeden von uns. Wer nicht ständig damit hadert, eine kleine Aufgabe fertig zu bekommen, hat mehr Zeit für die Frage: Welchen großen Herausforderungen möchte ich mich stellen?

Wer automatisch gesund lebt, kann seine Energie für all die anderen schönen Dinge des Lebens nutzen – statt für nervige Diätpläne.

Quelle: dpa

Literatur:
– Wendy Wood: Good Habits, Bad Habits: Gewohnheiten für immer verändern, Piper, 336 Seiten, 18,00 Euro, ISBN-13: 978-3492070799.
– Charles Duhigg: Die Macht der Gewohnheit: Warum wir tun, was wir tun. Piper, 432 Seiten, 12,00 Euro, ISBN-13: 978-3492304078.
– James Clear: Atomic Habits: An Easy & Proven Way to Build Good Habits & Break Bad Ones, Penguin, 320 Seiten, 17,99 Euro, ISBN-13: ‎978-0735211292.
– Henning Beck: Irren ist nützlich!: Warum die Schwächen des Gehirns unsere Stärken sind, Goldmann Verlag, 352 Seiten, 10,00 Euro, ISBN-13: 978-3442159581.

 

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